Der erste Alleinflug

- das Highlight jeder Segelfliegerlaufbahn

 

In der Laufbahn eines jeden Segelfliegers kommt irgendwann der Punkt, an dem er spürt, dass er maßgeblich an der Steuerung des Flugzeuges beteiligt ist. Es kommt der Punkt, an dem vermehrt Seilrisse und Anflüge aus ungewohnter Position trainiert werden. Es kommt der Punkt, an dem die berühmten letzen Unterschriften (nämlich die für "Verhalten bei Seilriss" und "Landung") vor der A-Prüfung in den Ausbildungsnachweis eingetragen werden.

Sommerflugwochen 2002: Irgendwie spüre auch ich, dass es bei mir demnächst endlich "soweit sein" wird. Ein seltsames Kribbeln hab ich im Bauch, bei jedem Start ein bisschen mehr Aufregung als sonst, trotzdem Vorfreude auf den größten Schritt, den ein Segelflieger in seiner ganzen Laufbahn macht: Der erste Alleinflug. Tausend Erzählungen habe ich schon darüber gehört, was für ein unheimlich erhebendes Gefühl es sein muss, wenn es das erste Mal so ganz still ist hinter einem. Und jetzt bald, das weiß ich ganz genau, bin ich an der Reihe. Dann werde ich endlich erfahren, was keine tausend Erzählungen beschreiben können. Über ein Jahr hab ich nun schon darauf hingearbeitet.

Nächster Morgen: Das Wetter ist gut, windstill, ideale Voraussetzungen um den "Sprung aus dem Nest" zu machen. Unser Ausbildungsleiter Dieter Heining lässt mich gleich früh den Theorietest schreiben. Spätestens jetzt ist mir klar: Heute ist es soweit! Aber erst mal diesen dummen Theorietest bestehen. Die Theoretische Prüfung am Luftamt ist noch lange hin, darum hab ich mir den Fragenkatalog bisher nicht so genau angesehen. Aber ich versuche einfach, das was ich weiß zu lösen. Zwei oder drei Fehler hab ich trotzdem gemacht (z.B. Mindestflughöhe über Land und Wasser, sehr wichtig für Segelflieger!), aber es reicht! Gleich nach dem Startaufbau sitze ich schon mit Dieter Lenzkes im Flieger. Das ganz normale Programm: Start, Platzrunde, Landung. Scheint OK gewesen zu sein, denn bei nächsten Flug sitzt Hanspeter hinter mir. Aha, der Kontrollflug des zweiten Fluglehrers. Jetzt bloß keinen Mist bauen... Aber auch hier läuft alles wie schon tausendmal geübt (OK, vielleicht nicht tausendmal, aber es kommt einem so vor). Nach der Landung verschnallt Hanspeter das hintere Gurtzeug und entfernt den hinteren Knüppel.

Jetzt wird's ernst: Eigentlich muss ich mir keine Gedanken machen, denn ich soll ja nur das Gleiche tun, was ich eben schon gemacht hab. Irgendwie ist es aber halt doch was ganz Anderes... Ich bin fürchterlich aufgeregt, aber Angst hab ich keine. Zum einen trau ich mir das auf jeden Fall zu, zum anderen haben grade zwei Fluglehrer, die das auch nicht zum ersten Mal machen, ihr OK gegeben. Also einfach alles so machen wie immer, dann kann eigentlich nichts schief gehen. Den Startcheck trage ich laut meinen Fluglehrern vor, die neben dem Flieger stehen. Dann Haube zu und Seil einklinken. Die Winde zieht etwas ungleichmäßig an und schwupps hab ich das Seil überrollt. Ich klinke aus und öffne die Haube wieder. Das hat gerade noch gefehlt. Also noch mal: Einklinken, Seil spannen und diesmal klappts. Die Winde beschleunigt mich, ich gehe langsam in Steigfluglage über. Als der Höhenmesser 150 Meter überschritten hat, bin ich schon etwas erleichtert. Wenn jetzt das Seil reißt, juckt mich das nicht mehr so viel. Es reißt aber nicht, sondern bringt mich auf knapp 400m. Das fehlende Gewicht des Fluglehrers macht sich bemerkbar. Dann ein lautes Klacken: Das Seil ist ausgeklinkt, ich fliege zum allerersten Mal völlig alleine! Doch was ist das? Die Fahrt ist trotz korrektem Horizont ziemlich gering. Auch hier macht sich das fehlende Gewicht bemerkbar. Ich nehme die Nase etwas tiefer bis die Fahrt wieder passt. Erstaunlich schnell hab ich mich an den neuen Horizont gewöhnt. Dann ab in den Querabflug. Die Ruder gehen wie Butter im Vergleich zu vorher. Jetzt, wo die Aufregung etwas nachlässt, beginnt die ganze Sache unheimlich Spaß zu machen. Ich fliege! Und das ganz alleine, ohne dass mir jemand helfen kann! ICH steure das Flugzeug. Im Gegenanflug beginne ich meine Höhe abzukreisen. Alle paar Sekunden kontrolliere ich die Höhe, klopfe viel öfter gegen den Höhenmesser, als es eigentlich notwendig wäre. Die Anspannung steigt wieder, denn jetzt kommt ja eigentlich der kritischste Teil: Die erste Landung alleine. Ich konzentriere mich, kontrolliere die Höhe, bei gut 150 Metern gehe ich an die Position und gebe (mit bemüht ruhiger Stimme) meine Landemeldung ab. Fahrt leicht erhöhen, schauen, ob andere Flugzeuge im Anflug sind und ob die Ladegasse frei ist, ein Auge immer auf das Vario, so hab ichs gelernt und so höre ich die Flugleherer in meinem Kopf auf mich einreden. "Queranflug, nicht zu weit hinter die Waldkante, denn da kanns ein Lee geben". Hand an die Klappen und die K-13 behutsam auf etwa 100m für die Landekurve bringen. Etwas schief drehe ich in den Endanflug, jetzt schön die Fahrt halten und mit den Klappen spielen, dass der Gleitwinkel passt. "Anschleichen" hat Kurt das immer genannt. Zeit, mich aufzuregen hab ich kaum, ständig korrigiere ich die Richtung, eigentlich fliege nicht ich, die K-13 fliegt, und ich "schiebe" sie bloß in die richtige Richtung. Da ist auch schon das Lande-T, ich runde aus, und lasse den Flieger ausschweben, wie ich es gelernt hab. Und tatsächlich, es klappt. Ganz sanft setzt sich die K-13 hin, als es ihr zu langsam wird, jetzt nur noch ausrollen lassen. Im Geiste höre ich Hanspeter hinter mir schreien "Knüppel an Bauch!", und das tu ich auch. Ein wenig bremsen, die K-13 steht und der Flügel fällt. Geschafft! Noch leicht zitternd aber wahnsinnig stolz öffne ich die Haube. Neugierige und grinsende Gesichter kommen mir entgegen. "Und, geil oder?". Das kann ich nur bestätigen.

Aber für überschäumende Freude bleibt keine Zeit, denn schließlich stehen mir noch zwei weitere Flüge bevor. Also noch mal konzentrieren. Auch beim zweiten Flug läuft alles nach Plan. Langsam gewöhne ich mich an die seltsame Stille im Flugzeug. Das Gefühl ist unbeschreiblich. Ich muss mich bemühen, nicht zu übermütig zu werden und konzentriere mich noch einmal. Bei der zweiten Landung setze ich sehr heftig auf. Dieter Heining meint, ich bin genau in einem der zahlreichen Löcher auf unserem Flugplatz gelandet, konnte also eigentlich gar nicht so viel dafür. Egal, weiter geht's mit Nummer 3. Das Selbstvertrauen ist jetzt so groß, dass ich den dritten Flug nur noch genieße. Ist ja schließlich die Ruhe vor dem Sturm . Denn jedem Segelflieger blüht nach seinen drei Alleinflügen das berüchtigte "Arschversohlen" und der Distelstrauß. So kamen auch nach meiner letzten Landung ganze Horden von Vereinsmitgliedern aus allen Ecken des Flugplatzes herbeigeströmt, denn das will sich keiner entgehen lassen. Ich füge mich meinem Schicksal. Im Prinzip ist das ja auch völlig egal, schließlich hat mein Fliegerleben soeben erst richtig begonnen, da nehme ich das doch in Kauf. Nachdem alle mir gratuliert und wild auf meinen Allerwertesten eingeprügelt hatten, ging es erst Mal Essen und ich hatte Zeit, das Ganze zu begreifen. Ich bin gerade dreimal ganz alleine um den Platz geflogen. Ich kann es immer noch nicht fassen... Schade, das es so schnell vorbeiging, solche Momente müsste man festhalten können! So viel Spaß es auch macht, zusammen mit den Fluglehren zu fliegen und immer das Gefühl der Sicherheit hinter sich zu spüren, das echte Fliegen hat für mich erst an diesem Tag begonnen. Von nun an konnte ich mich auch selbst an Kurven, Rollübungen, oder der Thermik versuchen ohne den geringsten Zweifel, dass ich das alles alleine gesteuert hatte. Einen solch einzigartigen Moment würde es wahrscheinlich in meiner ganzen Fliegerlaufbahn nicht mehr geben. Dennoch gab es tausende Dinge, die ich noch erreichen konnte, uns so freute ich mich still bereits auf das nächste Highlight: Meinen ersten Flug im Einsitzer Ka-8....

Sebastian