Der erste thermische Flug

Der Polizist Max Kegel war auf der Wasserkuppe zur „Überwachung des Flugsportes“ stationiert und hatte auch Gefallen am Fliegen gefunden. Da er seinen Vorgesetzten beweisen wollte, dass der Segelflug auch für die Polizei von Interesse war, wagte er 1926 einen Flug. Was Kegel erlebte, folgt nun in einem Auszug aus „12 Geboten für Segelflieger“- von Wolf Hirth und Peter Supf:

„Am Nachmittag des 12. August 1926 ließ sich der Kasseler Oberwachtmeister der Luftpolizei Max Kegel mit einem Gummiseil hochschnellen, um im Hangwind zu segeln, als schon ein Gewitter heraufzog. Plötzlich sah er sich von Wolken umgeben, fühlte er sich von Gewitterwinden emporgehoben, Hagel stach ihm ins Gesicht. „Ich fühle ein dauerndes Steigen“, so beschreibt er selber sein abenteuerliches Erlebnis, „mein Flugzeug gleicht zeitweise einem Blatt Papier, das in einem Kamin hochgezogen wird. Die Tatsache des fortgesetzten Steigens schaltet wenigstens die Gefahr aus, plötzlich mit einem Berg, Wald oder einem anderen Hindernis in Berührung zu kommen. - Um mich ist tiefe Finsternis und ein Getöse, als stände ich unter einem Wasserfall, denn Sturmböen und Hagel finden an Sperrholz, Rumpf und Flächen eine gute Resonanz ... Schmerzlich vermisse ich den Höhenmesser, und endlos erscheint mir die Zeit. Dann - plötzlich sackt die Maschine unter dem Sitz weg - eine kräftige Fallbö - und dann wieder das Gefühl eines senkrechten Steigens... Jetzt wird es heller! Ein kleines Wolkenloch huscht vorbei, noch ein Wolkenloch, ein leichter Druck ins Seitensteuer, und ich fliege nach dieser Richtung. Nur noch Sekunden und die Wolken nehmen ein Ende. Das schönste Wetter umgibt mich, und unter mir, vielleicht 1500 bis 1800 Meter tief, liegt eine Landschaft im Sonnenschein. -
Verstohlen schaue ich ab und zu halb rechts hinter mich, wo das Gewitter zieht. Vor mir breitet sich der Thüringer Wald aus. Jetzt habe ich noch eine Höhe von 300 bis 400 Meter und unter mir liegt ein Kirchdorf. Mit lautem Hallo überfliege ich es. Zwei Kilometer südlich liegt eine wunderbare Wiese zum Landen. Im Kurvenflug gehe ich nieder, ein leichtes Rutschen, ein kurzer Ruck, mein Flugzeug steht. Langsam klettere ich aus dem Sitz, und durch herbeieilende Landleute erfahre, dass ich Gumbertshausen bei Coburg bin.“

Was sind die phantastischen Erlebnisse aller märchen- und Sagenhelden und selbst des großen Lügenbarons Münchhausen gegen diese Wolkenodyssee des Kasseler Luftpolizisten! Ein Mensch, im Himmel hängend, der, von den Wolken verschluckt, vom Sturmwind gepackt, in tiefe Dunkelheit empor getragen wird und unversehrt, fröhlich Hallo rufend, aus der Gewitternacht wieder zur Erde zurückkehrt!“

Durch seinen (nicht ganz ungefährlichen) Gewitterflug hatte Kegel, ohne es zu wollen, den Beweis erbracht, dass es möglich war thermische Aufwinde mit Segelflugzeugen zu nutzen. Er hieß von nun an nur noch „Gewittermaxe“. Die zurückgelegte Strecke von 55,2 km war nicht nur neuer Weltrekord, sondern machte auch deutlich, welches enorme Potential in thermischen Aufwinden steckt.

Ende der 20er Jahre führte Robert Kronfeld im Umkreis der Wasserkuppe vor, dass nicht unbedingt gleich ein Gewitter notwendig ist um thermisch zu fliegen, sondern dass thermische Aufwinde auch bei schönem Wetter zu finden und zu nutzen sind. Kronfeld benutzte auch zum ersten Mal ein Variometer, ein Instrument, das dem Menschen den fehlenden Sinn für Steigen und Fallen ersetzt, und so das thermische Fliegen für alle Segelflieger zugänglich machte. Dieses Instrument ist auch heute noch in jedem Flugzeug vorhanden.